Ich habe mich mit der Überpflegung durch Proteine beschäftigt.
Da die semiwissenschaftlichen Aussagen hierzu sehr spärlich ausfallen, musste ich ein wenig recherchieren, um eine Hypothese zu erstellen, wie die Symptome bei Proteinüberschuss zustande kommen könnten. Ich hoffe, dass diese einigermaßen zutrifft.
Kann natürlich auch totaler Humbug sein.
Mit Feuchtigkeitsüberschuss erklärt sich ja von selbst. Es ist meist eher ein optisches Problem, der durch Überdosierung der Wasser einschließenden Komponenten entsteht, sodass Haare ölig und beschwert aussehen.
Interessanter ist da der Proteinüberschuss, der offenbar recht schnell zu negativen Wirkungen führt:
das Haar reißt sehr schnell ohne sich zu dehnen und ist härter und steifer, als gewöhnlich.
Ebenso reißt das Haar aber auch schnell, wenn lediglich Feuchtigkeitsmangel herrscht, aber genug Protein vorhanden ist.
Im Umkehrfall sind Haare bei Proteinmangel dehnbar wie Gummie.
Weil der Zusammenhang von Ursache und Wirkung bei Proteinüberschuss offenbar sehr schwer verständlich ist, wird häufig nur von den Symptomen berichtet.
Bei solchen Problemen wird dann vom protein overload, protein over conditioning und beim optimalen Pflegezustand von einer “Protein Moisture balance“ gesprochen.
http://loveyourcurls.com.au/loveyourcur ... e-balance/Oder hier bei science-yhairblog.
http://science-yhairblog.blogspot.de/20 ... otein.htmlInteressanterweise haben naturbelassene Afrohaare sehr viel schneller mit einem Proteinüberschuss zu kämpfen als andere Haartypen, dafür fehlt ihnen schnell Feuchtigkeit.
Bei einem Proteinüberschuss reißt das Haar bevor es sich überhaupt gedehnt hat. Und es fühlt sich hart und steif an. Trockenes Haar ist ebenfalls dafür anfällig zu brechen.
Allerdings findet sich nichts, was genau die Ursache für diese Wirkungsweise erklärt.
Überall steht nur: das ist eben so, weil zu viel Protein im Haar ist, wobei aber nicht näher die erklärt wird. Die einzige Erklärung, dass der Grund, der das Haar hart, steif und brüchig macht, der ist, weil das Haar einfach nur mit einen Haufen überschüssiger Proteine vollgepackt ist, war mir irgendwie nicht scientific genug.
Ich wollte versuchen mal eine nähere Erklärung auf molekulare Ebene zu finden.
Die beste Erklärung habe ich dann hier gefunden:
http://www.xovain.com/hair/moisture-proteinZitat:
Amino acids and protein molecules can penetrate to the cortex and permanently attach to areas of damage, essentially filling them in. If the cortex and cuticle become overfilled with these molecules without "grease" for the moving parts, the hair can become too rigid and break, splinter, or bead.
Eine übermäßige Zufuhr von Proteinen im Cortex ohne ausreichende Zufuhr von Feuchtigkeit / bzw von Fetten die die Feuchtigkeit einschließen, führt also zu diesen Symptomen - klar.
Zunächst muss man zwischen zwei Kategorien von Proteinen für die Haarpflege unterscheiden: Es gibt sowohl kleine hydrolisierte Proteine (hydrolyzed proteins) oder die einzelnen Aminosäuren als auch große Proteine. Große Proteine können gar nicht tiefer in das Haar eindringen. Diese wirken eher in der äußeren Schuppenschicht als „Auffüller“, bzw. als conditionierende Substanzen. Wirken also gar nicht auf die mechanischen Eigenschaften der Haare, denn die zugmechanischen Eigenschaften können nur im Inneren des Haares beeinflusst werden.
Weil man einen Proteinüberschuss über das Dehnungsverhalten und andere mechanische Eigenschaften des Haares bemerkt, muss es ja was mit der molekularen Mechanik während der Dehnung des Haares zu tun haben, die im Cortex stattfindet. Also muss es irgendein Zusammenspiel der kleinen Peptide und Aminosäuren und den biomechanischen Vorgängen geben.
Was mich zu der Frage geführt hat: was passiert überhaupt im Haar bzw. mit den Keratinsträngen bzw mit den einzelnen Keratinfibrillen, wenn es gedehnt wird bevor es reißt? Was bringt das Haar dazu steif zu werden und zu reißen, und besonders: was macht es unflexibel und brüchig bei Proteinüberschuss?
Kurz zum Aufbau des Haares:
Im groben hat das Haar eine Cuticula (Schuppenschicht), einen Cortex mit hydrophilen globulären Matrixproteinen und den hydrophoben langen Keratinfibrillen, die in der Matrix eingebettet sind. Vor allem dicke Haare haben auch eine Medulla.
Was geschieht beim Dehnen der Haarfaser?So wie ich das verstanden habe, gibt es da verschiedene Erklärungsansätze was mit den Keratinsträngen bei Dehnung im Detail geschieht und wie die Wechselwirkung von Keratinen und anderen Proteinen in etwas funktioniert.
Offenbar geht man davon aus, dass Keratin im Ruhezustand (relaxed) als alpha-Keratin (als zwei verdrillte Helices) vorliegt. Zu Beginn der Dehnung, verformen sich zuerst die alpha-Helices als Moleküle geringfügig selbst, dann erst gleiten benachbarte alpha-Keratine aneinander vorbei. Während die Filamente gegeneinander verschoben werden, werden die Wasserstoffbrückenbindungen gelöst und neu gebildet.
Bei noch stärkerem Zug geht das alpha-Keratin dann in beta-Keratin über. Das alpha-Keratin ist eine helikale coiled-coil Struktur, das beta-Keratin ist dagegen eine beta-Faltblattstruktur.
Verschiedene Dehnungsexperimente wollen diese Transformation nachgewiesen haben.
http://www.cell.com/biophysj/abstract/S ... %2973549-3New Aspects of the α-Helix to β-Sheet Transition in Stretched Hard α-Keratin Fibers, Biophysical Journa, Volume 87, Issue 1, p640–647, July 2004, L. Kreplak, J. Doucet, P. Dumas, F. Briki
Das Verhalten bei Dehnung wird auf eine Spannungs-Dehnungskurve übertragen, die das Verhalten des Haares bei Dehnung wird z.B. hier dargestellt:
http://www.doitpoms.ac.uk/tlplib/bioela ... eresis.phpIm ersten Bereich, im Linearelastischen (Hookeschen) Bereich wirken die Wasserstoffbrückenbindungen gegen die Zugkräfte. Werden diese gebrochen geht das Haar von den helikalen Keratinstrukturen in die beta-Faltblatt-Struktur über. Dieser Übergang wird Fließbereich genannt. In diesem Bereich wird das Haar plastisch dehnbar. Die Dehnung ist reversibel. Das Haar kann von selbst wieder in die alpha-Keratinstruktur zurückwandeln.
Die Umwandlung erfordert das Lösen und die Neuordnung von Wasserstoffbrückenbindungen. Dabei spielt Wasser als ein Protonenaustauscher eine Rolle, soweit ich das verstanden habe.
Dieses Wasser wiederrum befindet sich im Bereich der hydrophilen Matrixproteine, die sich quasi mit Wasser umgeben (Hydrathülle). Die Keratine selbst sind eigentlich hydrophob. Die umgebenen Matrixproteine stellen also auf diese Weise verfügbares Wasser bereit.
Da die Umwandlung in die beiden Strukturen durch Wasser als Protonenaustauscher erleichtert wird, ist auch verständlich, dass Haare im Wasser ausgedehnter sind und sich schneller relaxen.
Bei weiterer stärkerer Dehnung reicht aber auch die plastische Verformung nicht aus und es kommt zum Materialermüdungsbruch.
Ein paar Quellen:
http://www.sciencedirect.com/science/ar ... 9504735493Mechanics of trichocyte alpha-keratin fibers: Experiment, theory, and simulation, J. Mater. Res., Vol. 30, No. 1, Jan 14, 2015, C-C. Chou et al
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/article ... 85/?page=1Water in keratin. Piezoelectric, dielectric, and elastic experiments Biophys J. 1989 Nov; 56(5): 861–868. H Maeda
http://journal.scconline.org/pdf/cc1972 ... p00469.pdfThe binding of small molecules to hair--I: The hydration of hair and the effect of water on the mechanical properties of hair, J. Soc. Cosmet. Chem. 23 447-470 (1972), M.M. Breuer
Wasser spielt eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung der Proteinstruktur (von alpha-Keratin in Beta-Keratin) und die Veränderung/ Umformung der Proteinstruktur des Keratins selbst ist der Grund für das charakteristische elastische Dehnungsverhalten, also, dass das Haar plastisch dehnbar und biegsam ist.
Im oben genannten Paper ("New Aspects of the α-Helix to β-Sheet Transition in Stretched Hard α-Keratin Fibers") wurde auch nachgewiesen, dass im trockenen Zustand das alpha-Keratin nicht in die beta-Faltblattstruktur tranformiert wird.
L. Kreplak et al hat geschrieben:
... concerns the role played by water, which seems to act as a polymer polymer plasticizer in the transformation mechanism: stretching in water leads to the formation of β-sheets, whereas the chains remain unraveled at low-humidity conditions. (L. Kreplak et al)
Die Überlegung ist also: steht sehr wenig freies Wasser für die Umwandlung zur Verfügung, wird der Übergang von der alpha-helikalen Struktur in die b-Faltblattstruktur verhindert bzw erschwert. Das Keratin bleibt dann offenbar größtenteils als alpha-Keratin vorliegen.
Die Dehnung wird dann eventuell lediglich durch die Verschiebung der helikalen Keratinfibrillen selbst bewerkstelligt. Dadurch dehnt sich das Haar nicht plastisch, sondern bricht ohne vorherige Dehnung.
Aus den gleichen Gründen ist das Haar unter gegebenen Umständen hart und unflexibel, denn auch für Biegung und Verformung werden die Wasserstoffbrückenbindungen gelöst und neu gebildet (Locken und Wellen).
Bei genügend Wasser kann diese Umordnung schnell geschehen, bei Abwesenheit von Wasser ist die Neuanordnung dieser Bindungen erschwert und verlangsamt. Es fehlt Elastizität und Verformbarkeit durch den nicht stattfindenden Umwandlungssprozess der Keratine.
Im trockenen Zustand macht also die Beobachtung Sinn, insofern staubtrockene Haare, die Feuchtigkeit bräuchten, schnell brechen und störrisch sind…
Und was machen dann überschüssige Proteine???Dazu habe ich im Buch "Feughelman M., Mechanical properties and structure of alpha-keratin fibres: wool, human hair, and related fibres. 1997, Sydney, Australia: University of New South Wales Press" auf Seite 26 einen Abschnitt gefunden, der in etwas Folgendes aussagt:
Aus einer Studie von Bendit und Gillespie (an das originale Paper kam ich leider nicht heran) geht hervor, dass die Steifigkeit von a-Keratinen bei einer verhältnismäßigen Zunahme von globulären Matrixproteinen zu einer erhöhten mechanischen Steifigkeit führen. Ebenfalls führt eine proportional größere Masse an Matrixproteinen im Wasser gesättigtem Zustand zu einer verminderten Fähigkeit eines reversiblen Verformungsverhaltens, also die Fähigkeit in den Ursprungszustand (z.B. Länge) zu gelangen.
Über die Menge an Matrixproteinen (zur Erinnerung, die Keratine sind in dieser Matrix eingebettet) wird also das Dehnungsverhalten und Steifigkeit von verschiedenen Keratinen beeinflusst.
Dieser Zusammenhang wird in diesem Abschnitt folgendermaßen erklärt: wenn das Verhältnis von Matrixproteinen zu Keratinfasern ansteigt, verringert sich der Raum für Wasser und dessen Mobilität zwischen den Mikrofibrillen (Keratinfasern).
Feughelman M. aus "Mechanical properties and structure of alpha-keratin fibres: wool, human hair, and related fibres" hat geschrieben:
A reduction in the water polymer relative to the keratin protein must result in the decrease of the mobility of the interpenetrating polymer network of water plus keratin. (Feughelman M.)
Also wirkt ein Proteinüberschuss ganz ähnlich wie Trockenheit.
Das Übermaß an Proteinen in der Matrix verdrängt das für die Verformbarkeit benötigte Wasser aus den Bereichen der Mikrofibrillen. Dadurch, dass weniger Wasser zur Verfügung steht, können Wasserstoffbrückenbindungen nicht so leicht aufgebrochen werden. Das würde dann auch die Steifheit von Proteinüberladenen Haaren erklären und warum diese dann schlecht zu stylen sind. Die Haare können nur sehr schwer andere Formen annehmen und sich elastisch biegen, wenn die Bindungskräfte nur schlecht gelöst und umgeordnet werden können.
Bei zugeführten Proteinen wird eine erhöhte Feuchtigkeitszuführung „moisture“ angeraten. Heißt also, man muss versuchen der Verdrängung des Wassers aus den Keratinbereichen entgegen zu wirken.
http://rspb.royalsocietypublishing.org/ ... .2012.2158Regulation of hard α-keratin mechanics via control of intermediate filament hydration: matrix squeeze revisited Proc. Biol. Sci., Proc Biol Sci 2013 Jan 7;280(1750):20122158. Epub 2012 Nov 7., Daniel A Greenberg, Douglas S Fudge
In diesem Paper geht es ebenfalls um das Verhalten von Keratin und der Matrix bei verschiedenen Feuchtigkeitsgraden und das Zusammenspiel der Keratine und der Matrix.
Hier ist überdies auch ein Erklärungsansatz auf welche Weise ein geringeres Massenverhältnis von Matrixproteinen zu Keratinfasern an eine Anpassung an trockene Verhältnisse zu sehen ist.
Dies wäre also ein Erklärungsansatz, wieso Afrohaare gewisse Eigenheiten aufweisen als Anpassung an trockene Bedingungen. Afrohaare sind bekanntlich empfindlicher und feiner, als z.B. europäische Haare und vor allem asiatische Haare.
Ich habe das so verstanden, dass Afrohaare feiner sind, weil sie ein geringeres Volumen der Cortexschicht haben, also auch weniger Matrixproteine (an denen Wasser angelagert wird) aufweisen. Diese hätte zum einen zur Folge, dass Feuchtigkeit im geringeren Maße gespeichert werden kann und zum anderen, dass „weniger Platz“ für zusätzliche Stoffe wie eben Proteine vorhanden ist - es sei denn es wurden durch chemische Behandlung eigene Proteine verändert und ausgeschwemmt, sodass die wieder zugeführt werden müssen.
Allerdings könnte eine kleinere Cortexschicht auch bedeuten, sodass diese auf ein Ungleichgewicht sensitiver reagiert, daher, dass das System proteinsensitiver ist und schneller auf diesen Überfluss reagiert. Daher vertragen diese Haare übermäßige Proteinzufuhr nicht.
Und das waren meine Übelegungen zum Proteinüberschuss...
Im ganz umgekehrten Fall: Proteinmangel
Man profitiert von einer "Stärkung" durch Protein, wenn bei einer chemischen Behandlung bei der die Disulfidbindungen der Mikrofilamente (Keratinstränge) aufgebrochen werden und nachhaltig chemisch verändert werden und gleichzeitig auch die Matrixproteine zerstört oder chemisch verändert werden. Diese werden labil und ausgeschwemmt. Dadurch verliert die Faserstruktur ihre Fähigkeit nach plastischer Verformung in den Ursprungszustand zurückzukehren, weil die Verankerung über Disulfidbrücken geschwächt ist und die Bindungen noch vor dem allgemeinen Materialermüdungsbruch brechen, sodass das Haar in diesem überdehnten Zustand bleibt.
Vor allem dehnt sich das Haar dann sehr weit im Wet Assessment Test. Durch Wasseraufnahme bei hoher Luftfeuchte kann Wasser direkt in den Cortex gelangen. Durch den Proteinmangel im Cortex hätte es aber kein Puffersystem (Wasserdonator) und bricht sehr leicht im trockenen Zustand, weil das Wasser z.B. nach der Wäsche nicht durch Matrixproteine gehalten werden kann. Wenn man Feuchtigkeit einschließt, tritt dann das Gummiegefühl auf.
Das Haar hat bei Protein- gleichzeitig einen Feuchtigkeitsmangel, weil die Proteine quasi als Puffersystem (Wasserdonator) fehlen, um freies Wasser für Umformungsprozesse bereit zu stellen.
Proteine umgeben sich also mit Wasser, dass für die plastische Verformbarkeit bereitgestellt wird. Allerdings kehrt sich der positive Effekt bei einer einem protein overload um, wenn zu viel Protein oder ähnliche Moleküle (Farbmoleküle eventuell) die Wassermasse verdrängt bzw die Mobilität der Wassermoleküle einschränkt.