Flamme hat geschrieben:Ich finde v.a. schade, dass Schönheit so überproportional wichtig genommen wird von Frauen. Ich finde, es hilft nicht viel weiter, in allen Schönheit zu sehen, statt das Kriterium aufzugeben oder zumindest zu minimieren. Wenn ich daran denke, welche Menge an Zeit, Geld, Energie etc. da rein gesteckt wird, was wäre, wenn diese ganze Energie anders investiert würde? Gewaltige Ressourcen, die z.B für innere Prozesse frei würden.
Das stimmt schon, aber jeder möchte sich wertvoll und angesehen bzw. wenigstens akzeptiert fühlen. Wenn Schönheit nun tabu wäre, würden sich immer noch viele Menschen fragen, wie andere sie sehen. Und man kann nicht vermeiden, dass man bestimmte Menschen anders ansieht, weil man sie schöner oder weniger schön findet. "Du siehst gut aus!" kann man unterschiedlich verstehen - als Meinung, Kompliment, Wertschätzung etc. "Du siehst scheiße aus!" kann man zwar ebenso unterschiedlich interpretieren - unter anderem als ehrliche Meinung von jemandem, dessen Meinung man schätzt - aber die Aussage kann man auch verstehen als "du bist nicht mit mir auf einer Höhe, ich sehe auf dich herab, du musst dich verstellen, verstecken oder sogar andere Menschen meiden, damit du sie nicht mit deiner Hässlichkeit belästigst - oder es dürfen alle ständig über dein Aussehen lästern!"
Die meisten Durchschnittsmenschen glauben heute vermutlich nicht wirklich, dass sie gut aussehen, weil einem ständig Makel eingeredet werden, nach denen man suchen muss, aber trotzdem haben die meisten Durchschnittsmenschen etwas, auf das sie stolz sind: Ihren Modegeschmack, ihre Figur, ihr Gesicht, ihre Haut, ihre Art, sich zu schminken oder zu stylen, ihr Haar etc. Wenn das nun tabu würde - was es mal war, meines Wissens im 19. Jahrhundert vor allem bei Strenggläubigen oder früher bei den Puritanern - dann würde man immer noch gut aussehen wollen, man dürfte es aber nicht mehr sagen, und hätte damit auch Stress.
Es gibt einen Kapitel in einem Buch von Laura Ingalls Wilder, in dem das sehr schön beschrieben wird.
Hier wird das Kapitel besprochen. Es wird beschrieben, wie eine Jugendliche zu einer Party gehen will (im 19. Jhd. in den USA) und sich beim Zurechtmachen im Spiegel betrachtet und stolz auf ihr dickes, langes Haar ist. Und dann erschrickt, weil es sich nicht schickt, stolz auf sein Aussehen zu sein, weil das eitel wäre. Das ist ja praktisch eine Welt, in der Schönheit nicht wirklich ein Thema ist, jedenfalls nicht bezogen auf sich selbst (andere durfte man wohl schon schön finden).
Heute legen wir aber den Fokus sehr stark auf Makel an anderen Menschen und an uns selbst. Das wird kurioserweise besonders an Unterhaltungsmedien (Fernsehshows, Zeitschriften) über Promis oder Mode deutlich. Es wird nur gemeckert, es wird aufgezeigt, wessen Kleid nicht passte, wessen Makeup übertrieben war, wer zugenommen hat oder sonstige "Fehler" gemacht hat. Statt zu loben, was wirklich gut aussieht - mMn leider selten die Promis, weil die übertrieben gestylt und gekleidet sind - lernt man, Fehler zu suchen. Wenn man das lange genug geübt hat, und gewohnt ist, nur negativ über andere zu reden, fängt man automatisch an, auch mit sich selbst kritischer zu werden. Das frisst doch wenigstens unbewusst am Selbstwertgefühl.
Wenn man sich mal wirklich auf Menschen einlässt, sieht man sie tatsächlich nicht mehr als "hässlich", auch wenn sie dick oder grau sind, Glaze oder Bauch haben oder unreine Haut oder sonstige Makel.
Viel hässlicher finde ich persönlich oft Menschen, die sich Mühe geben, sich zu schminken. Schaut mal "Shopping Queen" - die meisten Kandidatinnen sehen für mich im Gesicht inklusive Haare sehr bis extrem hässlich aus, gerade
weil sie sich "Mühe geben" sich zu schminken und beim Friseur stylen zu lassen.
Dagegen sehe ich auf der Straße viele (fremde) Menschen, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, weil sie übergewichtig sind oder Falten haben oder graue Haare und die ich total schön finde, weil sie kein Problem mit ihrem Aussehen und einfach eine positive Ausstrahlung haben. Insofern denke ich schon, dass man Schönheit in jedem sehen könnte (Ausnahmen bestätigen bestimmt die Regel), wenn man von einem bestimmten Ideal und Leitlinien wie "man muss schlank und faltenfrei sein" und "Frauen müssen sich schminken" (warum eigentlich Männer nicht?!). Und immer noch werden eher Männer mit Bierbauch akzeptiert als Frauen mit gewölbtem Bauch. Das sieht man oft auch an der Art, wie beide sich mit ihrem "Makel" durch die Welt bewegen.
Was man abkoppeln könnte wäre, bestimmte Urteile über Aussehen mit Bewertungen der eigenen Person zu verbinden. Das gilt besonders für "du bist alt", "du bist dick/ fett", "du wirst grau" usw. Man hört nicht nur diese Aussagen, sondern man hört "ich finde dich jetzt nicht mehr so interessant", "ich nehme dich jetzt nicht mehr so ernst", "du bist jetzt nicht mehr ein wichtiger Teil der Gesellschaft" (wenn du alt wirst etc.). Würde man es schaffen, diese Urteile von den Aussagen zu entkoppeln, wäre schon viel erreicht und viele Menschen könnten unbeschwerter leben. Warum fühlt man sich denn beleidigt oder verunsichert, wenn einem jemand etwas sagt, das man weiß: Ja, man hat Übergwicht, ja, man hat graue Haare, ja, man hat Falten. Das ist ja an sich nicht schlimm und man weiß auch, dass es so ist. Man bekommt nur große Angst, wenn es ein anderer ausspricht, weil man alles Mögliche damit verbindet, das man nicht ausspricht, das aber meistens eine Variante von "jetzt schätzt er mich weniger" sein wird.
LG von
Tasha